Franz ZauleckZaulex.de

18. Juli 2006: Die Schuster und der Chevalier - Kleine Fabel.

Schwarz war die Nacht und finster das Mittelalter. Obskur waren die Verhältnisse. Dunkel war die Vorzeit und grau alle Theorie. »Am Arsch ist es duster, da wohnt der Schuster«, sagten die Menschen und in ihrem Lachen war Bitterkeit. Eines dunklen Tages jedoch versammelten sich die sprichwörtlichen Schuster und beschlossen: »Es muss ein Ende haben!« Sie putzten die Lampen. Es wurde hell. Sie rissen die Fenster auf. Es wurde heller. Sie trugen das Inventar auf die Bleiche. Es wurde weiß. Sie wuschen die Sachen bei 90 Grad. Und alles wurde weißer als weiß: die Zähne und die Häuser, das Papier, der Zucker, die Hemdbrüste, das Mehl, das Licht, die Strände und der Rauch über dem Petersplatz. Alles war blendend weiß geworden. Die Schuster blinzelten ungläubig in die schneeige Leere. Wollten sie nicht blind werden, mussten sie berußte Gläser vor die Augen halten. Chevalier Ettienne de Silhouette, der weithin bekannte Sonderling, tat das nicht. Er zückte stattdessen seine Schere und schnitt schwarze Löcher in die strahlende Pracht. Die Schuster nahmen die rußigen Gläser von den Augen und sahen dunkle Pferde und schwarze Damen, finstere Knaben und schattige Bäume, tintige Schiffe mit obskuren Matrosen und dunkelbunte Elefanten. Die Schuster sahen, dass das Weiß nicht mehr weh tat und dass Schwarz eine herrliche Farbe ist. Seit jenem denkwürdigen Tag ist der Chevalier der Schutzpatron der Schusterzunft. Wer es nicht glaubt, lässt es bleiben.

(Franz Zauleck, 18. Juli 2006, Beitrag für die Ausstellung im Brechthaus Berlin "Jede Farbe – Hauptsache schwarz schwarzfigurige Zeichnungen auf weißem Papier")

weiterlesen