10. April 2013: Hans-Dieter Schütt "Bissiges Leben nah an der Löschtaste" Zur Ausstellung Papier. Korb. Zeit.
Die Feststellung, Zeitungen seien zum Einwickeln da, bezieht sich meist fälschlicherweise auf deren Verwendungsmöglichkeit nach Gebrauch. Es ist aber weit mehr der Zweck, warum Zeitungen überhaupt gemacht werden. Und obwohl also, um diese Tagesblätter zu erklären, nichts weniger am Platze wäre als klassisches Gedankengut, darf trotzdem Goethe zum Zitat kommen: »Der Zeitungsschreiber selbst ist wirklich zu beklagen,/ Gar öfters weiß er nichts, und oft darf er nichts sagen.« Das ist Wahrheit und Fazit über einen Beruf, der Virtuosen der Vergeblichkeit heranbildet: Journalisten verwenden zwar einen Wortschatz, verlassen aber meist kaum die genuine und gelernte Einsilbigkeit. Der Blick in den sogenannten Pressespiegel freilich entlastet das Volk der Redakteure: Denn jede Zeitung darf leider nur immer so klug sein, wie ihre Leser gestatten. Ein Elend.
Der Grafiker, Bühnenbildner, Kostümerfinder, Illustrator, Kinderbuchautor, Hörspieldichter und Kunstlehrer Franz Zauleck, ein Mann also von universaler Versuchslust, zudem so heiter wie scheu - er hat sich in die bewegte, bedrippte, bedrohte deutsche Zeitungslandschaft geworfen: Seit Dezember 2010 schuf er 300 wahrlich ein-seitige Ausgaben seiner »Neuen Berliner Papierkorbzeitung«, versandte sie per mail an tolldreist aufgelegte Abonnenten, die schon mal was von Heartfield, von Dada und Expressionismus, von Simplicissimus und Joseph Beuys gehört haben. Oder von keinem davon, dann ist eben Zauleck ein Erwecker gewesen, wie es Johann Karolus war, der 1605 in Straßburg das erste periodische Blatt, die »Relation«, herausgab, oder wie die Macher der »Einkommenden Zeitung«, die 1650 in Leipzig die erste Tageszeitung Deutschlands produzierten. Die Kunst in der Zeitung, die Zeitung als Kunst - Zauleck stiftete solch sinnigen Sinn.
In 300 Blättern war Zauleck ein Collagist im Geiste Tucholskys, ein Pfiffikus des politischen Witzes, den jeder studieren sollte, der Links mit intelligenter Schärfe und drastischer Deutlichkeit verbindet. Alte Fotos und Postalien, Comicszenen und aktuelle Meldungen - Zauleck inszenierte Zeitung als Bilderbogen des Grotesken, Dämonischen, Absurden in Politik und Gesellschaft; dreihundertmal Satire mit Biss.
Dichter Jürgen Rennert feierte in seiner Laudatio zur Eröffnung der NBPKZ-Ausstellung in Treptow jenes »Aufblitzen«, das ihm Zaulecks Zeitung jedes Mal bereitet habe. Auskunft eines begeisterten Zeitungslesers, eines Blätterfressers bis zum späten Vormittag, »bis mir am Mittag dann aller Appetit auf weitere Unterrichtung und konzertierte Desinformation vergangen ist. Denn die vermeintliche Meinungsvielfalt der gutbürgerlichen deutschen Medien gipfelt zumeist in einer nur geringfügig veränderten Syntax der Vermeldungen und der noblen Verhaltenheit respektive dreisten Schwärze ihrer Titelzeilen.«
James Joyce nannte Zeitungslektüre »Graubrot des Alltags«. Ein Grundnahrungsmittel also. Das aber ungenießbar wird, wenn Grauhirne daran backen. Was Zauleck leistete, darf als geradezu mystischer Prozess betrachtet werden, an dessen Ende »Graubrot« jedes Mal in viel weniger verwesliche Substanz überführt wurde: in Kunst. Herrlich: Wie fremde, wilde Wetter fielen Form und Farben über die gelähmte Szene des landläufig Medialen.
Der Papierkorb: das Archiv, in dem alles Scheitern sein Materialgrab findet. »Der Papierkorb ist ein finsterer Wartesaal«, schreibt Zauleck im Katalog, darin fristen Schnipsel ihr Dasein, warten auf Erlösung im neuen, überraschenden Zusammenhang, den allerdings nur Phantasten wie dieser Künstler zu schaffen in der Lage sind. Der Papierkorb als Endstation - und Geburtsort. Das an bebildertem, beschriftetem Papier Weggeworfene als - das Aufgerufene. Stirb, alte Druck-Sache - und werd eine neue. Wie singt ein altes Volkslied? Es ist ein Schnitter, heißt ... der Zauleck. Der schneidet wahrlich gut ab und aus, der gibt uns den Rest anderweitig gestalteter Blätter von früher oder jetzt, er gibt uns die Reste verwandelt zurück als Kommentar zur abstrusen Gegenwart.
Nimm eine großformatige Zeitung, schlage sie auf mit beiden Händen, schon ist der freie Blick in die Welt versperrt. Mit Zaulecks Zeitung konnte man so nicht verfahren, sie erschien »nur« online, Werk eines ansonsten hartnäckigen On-Laien - ihr Papierkorb, das war nicht nur ihr Quell, es war auch ihr Aus, das sie masochistisch, quasi im kecken Todeswitz, bereits im Titel aufrief. Dieser Papierkorb: der tiefe Computerschlund, und das macht diese Zeitung so lebensnah - wir alle leben in der Nähe der Löschtaste.
Franz Zauleck: Die Neue Berliner Papierkorbzeitung (NBPKZ). Ausstellung in Treptow, Ernststr. 14/16. Bis 31. Mai. Mo-Fr 10 bis 16.30 Uhr, Di bis 19 Uhr. Katalog: »Papier. Korb. Zeit.« Vorwort von Jürgen Rennert. Kreisel Verlag Güstrow, 12,50 Euro, ISBN 978-3-910145-26-9 (zaulex@gmx.de).
Nochmal zur Löschtaste: stimmt nicht ganz (ohne Lüge kommt man in der Nähe von Zeitungen einfach nicht aus!): Unter papierkorbzeitung.tumblr.com ist natürlich alles nachlesbar. Und: FZ macht weiter! Soeben erschien No. 1 von »Kuckuck - Berlinische Fragmente zum praktischen Verständnis der real existierenden kulturellen Verwirrung« (kuckuckuck. tumblr.com).
Von Hans-Dieter Schütt 10.04.2013 Berlin / Brandenburg
Bissiges Leben nah an der Löschtaste
(Neues Deutschland, 10. April 2013)