Franz ZauleckZaulex.de

27. Dezember 2012: Wo ist der Haacken? (Über Till Schröders Frans-Haacken-Buch)

Mitte der Neunzigerjahre bemerkten die deutschen Autohändler, dass sie überproportional viele rote Automobile verkauften. Sozialpsychologen nahmen sich dieser komischen Nachricht an und fanden mithilfe sorgfältiger Statistik heraus, dass die Automobilisten dieses Jahrzehnts rote Autos deshalb bevorzugten, weil die Spielzeugautos ihrer Kindheit hauptsächlich rot waren. »Alle Lust will Ewigkeit«, hören wir Nietzsche sagen. Unsere Kindheit soll nie enden. Wir setzen alles daran, unser verlorenes Kinderzimmerglück, wieder zurückzubekommen.
Dieses Phänomen liefert womöglich die Erklärung dafür, warum sich ein junger Mann auf den steinigen Weg macht, das wichtigste Kinderbuch seiner Kindheit lebendig zu erhalten.
Der junge Mann heißt Till Schröder, Jahrgang 1974, das Kinderbuch heißt »Husch, das gute Gespenst« und wurde 1948 von Frans Haacken illustriert. Dieses Buch, das 26 Jahre vor seiner Geburt entstanden war, hatte den buchstabierenden Knaben Till derart bezaubert, dass er als junger Mann dann beschloss, dem Mirakel auf die Schliche zu kommen. Er musste vor allem herauszufinden, wer dieser Frans Haacken war, der diese Macht über sein Sehen und Denken gewonnen hatte. Und da Till Schröder einer von denen ist, die ihren Beschlüssen treu bleiben, liegt seit Ende des Jahres 2012 das Resultat dieser Treue vor und nötigt uns, soviel lässt sich mit großer Sicherheit sagen, hohe Bewunderung ab.
Dieses Buch hat ein Berufener geschaffen. Ein anderer hätte das nicht vermocht. Liebe und Neugier zum Gegenstand reichen hierfür allein nicht aus – es braucht auch Begabung, Mut und eisernen Fleiß. Diese Zutaten sind vonnöten, wenn es ein Buch wie dieses werden soll. Es ist Monografie, Kulturgeschichte, Bibliografie, Werkverzeichnis und Biografie in einem. Frans Haacken ist unter den Bekannten der große Unbekannte. Sein Name hat sich unter Kennern zwar herumgesprochen, wenn es aber ins Detail geht, müssen sie achselzuckend zugeben, dass es nicht viel ist, was sie von dem Mann wissen. Ab jetzt gehört das Gestammel der Vergangenheit an. Till Schröder hat die biografischen Zeugnisse und künstlerischen Zeichen des Künstlers akribisch aufgespürt und in lesbare Zusammenhänge gebracht.
Frans Haackens Leben und Werk ist nicht in zwei Sätzen erzählt. Dieser Künstler ist nicht leicht zu fassen; er war, wie es im Buch heißt, ein Grenzgänger. Ein vielgestaltiger Künstler in einer von gewaltigen Brüchen gezeichneten Zeit. Dieses Leben zu beschreiben, erfordert detektivische Systematik und gleichzeitig einen intuitiven Sinn für die großen Bögen eines reichen Lebens in einer hochdramatischen Zeit.
Till Schröder gibt dem Werk den bemerkenswerten Titel: »Frans Haacken – Zeichner zwischen 3 Welten«. Dass das Zahlwort als Ziffer geschrieben wird, ist auffällig, weil es für einen Buchtitel ungewöhnlich ist. Die besondere Schreibweise signalisiert die signifikante Bedeutung, welche die Ziffer 3 für das Leben Frans Haackens hatte. Es ist ein Leben in drei Welten, zwischen drei Welten und mit drei Welten. Die Zerrissenheit ist naturgemäß die Existenzform eines jeden Künstlers. Die Zerrissenheit des Zeitalters aber, in welchem dieser Mann gelebt und gearbeitet hat, ist eine besondere, man kann, ohne zu übertreiben, sagen: eine gesteigerte.
Frans Haacken wurde 1911 in Aachen geboren. Leute dieser Generation bringen es in Deutschland mindestens auf drei Zeiten und drei Kriege, wenn wir den kalten Krieg mitzählen. Eine zerrissene Gesellschaft folgte der nächsten, eine Katastrophe ging nahtlos in eine andere über. Der kriegerische Sprung vom 19. ins 20. Jahrhundert und der damit einhergehende jähe Sturz in die Moderne prägen Haackens Zeit. Den künstlerischen Tausendsassa, der er dann wurde, hat der Expressionismus unverkennbar geprägt. Weil ein Gewerbe auch damals schlecht seinen Mann ernährte, konnte und musste Frans Haacken in den verschiedensten gestalterischen Medien, – Reklame, Film, Illustration, Plakat, Buch- und Zeitschriftengestaltung – arbeiten. Das Buch, der Film, das Theater – drei berufliche Welten verbanden sich in einer Person. Dass er es konnte, war ein großes Glück. Für ihn und für sein Publikum. Ein Zeichner in drei Zeiten und zwischen drei Welten ist auch ein Zeichner zwischen allen Stühlen.
Diesen ordnenden Blick auf Arbeit, Leben und Zeit des Meisters haben die Buchgestalter von der Berliner Agentur »formdusche« in eine gestalterische Chiffre verwandelt. Das Dreieck in rot, blau und schwarz – drei Seiten, drei Welten – bildet das formbestimmende Element der Buchgestaltung. Im Einklang mit der Schriftwahl und den Farb- und Layoutentscheidungen gelingt es den Gestaltern, den Haacken-Sound buchgestalterisch kongenial wiederzugeben.
Der »Haacken-Sound« ist eine spezielle Mischung aus Steifheit und Charme. Haacken ist ohne Zweifel ein gewiefter Zeichner Er hat sich aber sehr bewusst einen manieristischen Stil angeeignet, der das Gekonnte in das Gespannte verwandelte. Die Primitivität, die er als geübter Expressionist anstrebte, hat ihm Mittel in die Hand gegeben, die ihn sicher vor den Gefahren des Kitsches bewahrten. Seine spröden und kratzigen Zeichnungen und seine expressive Farbwahl halfen ihm, jegliche Anfechtungen der geheuchelten Einfühlung abzuschmettern. Das wird, so ist zu vermuten, den Zeichner Haacken für Bertolt Brecht interessant gemacht haben. Wir sind auf das Vermuten angewiesen, weil es bedauerlicherweise von Brecht weder Brief noch Zeugnis über die Zusammenarbeit mit Frans Haacken gibt. Das ist umso so erstaunlicher, weil Brecht – wie wir wissen – in der Wahl seiner Mitarbeiter streng war. Ein Zeichner, der Zeichnungen zu den frühen Plakaten des Berliner Ensembles (»Mutter Courage« und »Der Hofmeister«) lieferte und die ersten illustrierten Nachkriegsbücher (»Der verwundete Sokrates« und »Kalendergeschichten«) zu Lebzeiten Brechts schuf, den dürfen wir gut und gerne zu Brechts Mitarbeitern zählen. Die Arbeit für Brecht brachte ihm die gebotene Anerkennung ein und bildet unzweifelhaft einen Höhepunkt in Haackens künstlerischem Werk. Auf diesen Höhepunkt lief alles hinaus, von dort geht alles weitere aus. Die epische Form der Zeichnung, den distinguierten Gestus von Farbe und Strich hat Haacken in den arbeitsreichen Jahren nach Brechts Tod beibehalten.
Haacken war im geteilten Deutschland einer der seltenen ungeteilten Künstler. Seine Arbeiten erreichten das Publikum in Ost und West. Hier soll nur an die Kinderbücher zu »Peter und der Wolf«, »Alice im Wunderland« und »Eine Kuh in Pinneberg« erinnert werden, die die Kinder auf beiden Seiten erreichten.
Das Haacken-Buch von Till Schröder schildert unterhaltend und informativ das bewegte Leben eines Großen seiner Zunft. Das Buch ist reich bebildert und mit Fleiß geordnet. Es ist eine Lust die Haacken-Welt zu betreten. Sollte jemand noch fragen: »Wo ist der Haacken?«, dem kann geantwortet werden: »Hier ist er!«, Till Schröder sind mit dieser Arbeit ganz sicher zwei Dinge gelungen: Er hat zum Ersten sein Kinderzimmerglück wiederbelebt und zum Zweiten hat er uns einen Meister nahegebracht und ans Herz gelegt, den wir ohne Zögern in den Kanon der Großen des 20. Jahrhunderts einreihen sollten.

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