8. Dezember 2012: Es begann mit einem roten Briefumschlag (Interview im "Neuen Deutschland")
Unter dem Titel "Schöne Schere im Kopf" forderte Hans-Dieter Schütt dazu auf, folgende Fragen zu beantworten. Das Interview erschien am 8. 12. 2012. im Neuen Deutschland
Schütt: Papierkorbzeitung - warum? Aus welchem Impuls heraus?
Zauleck: Es begann mit einem roten Briefumschlag – banal und erhaben in einem. Ich gab ihm viele Jahre Asyl. Am 21. Dezember 2010 montierte ich diesen Schnipsel in den Rahmen einer Zeitungsseite. Mit diesem simplen Kniff hatte das rote Papier eine Bühne und wurde poetisch und politisch aktiv. Was als origineller Weihnachtsgruß gedacht war, wurde zur Geburtsstunde der Papierkorbzeitung. Alles Glück will Ewigkeit. Die Schwangerschaft beanspruchte Jahre, die Entbindung dauerte eine Stunde. In Krisenzeiten werden bekanntlich Zeitungen geboren. Pünktlich zum Krisenjahr 2011 war die Papierkorbzeitung da.
Schütt: Papierkorb, das assoziiert: Wegwerfgesellschaft. Welches Verhältnis haben Sie zur Vergänglichkeit der Dinge - und Ihrer Kunst?
Zauleck: Ein Schnipsel wird, wenn du ihn intensiv betrachtest, den Blick erwidern. Schnipsel sind Fragmente. Der Anlaut, das Bruchstück, der Schatten, die halbe Geste erregen unseren assoziativen Apparat intensiver als das Ausgesprochene und Vollendete. Das Alte war einmal das Neue. Das Neue wird das Alte werden. Den Künstler interessiert das, weil Vergehen und Wiedergeburt schließlich kardinale Gegenstände seiner Arbeit sind.
Schütt: Widmen Sie ihm eine Liebeserklärung: dem Papierkorb?
Zauleck: Der Papierkorb ist ein mythisches Möbel. Darin bekommt das Ausgesonderte die Galgenfrist bevor es zur Auslöschung kommt. Beim Graben im Korb begegnen uns alte Bekannte, aus denen sich etwas machen lässt. Das wäre Liebe.
Schütt: Beschreiben Sie - furchtlos - Ihr Verhältnis zu Zeitungen?
Zauleck: Ich überlege, ob man furchtlos über Zeitungen sprechen kann. Ich sehe noch meinen Vater, der hinter der Zeitung hockte und Signale der Hoffnung in der Syntax suchte. Stand in der Zeitung: »Alles in Butter!«, musste man sich warm anziehen. Stand in der Zeitung: »Brüder und Schwestern!«, wusste man, die Herrschaft wankt.
Jetzt, wo allen klar ist, dass die alte Zeitung nicht mehr zu retten ist, wird sie wehleidig betrachtet. Ich aber reiße die Zeilen und Bilder aus ihr heraus, die ich für meine Arbeit brauche. Das tat ich früher nie.
Schütt: Was sollte, dürfte nie im Papierkorb landen?
Zauleck: Wenn ich das ernsthaft beantworten will, muss ich sagen: »Verbundmaterial«. Die unauflösliche Verschweißung, Vernietung und Verklebung des Papiers mit Kunststoff und Metall verwischt seine archaischen Konturen. So, wie Luft nicht mehr Luft, und Wasser nicht mehr Wasser ist, so ist Papier nicht mehr Papier. Das wird Folgen haben.