Franz ZauleckZaulex.de

12. März 2013: Jürgen Rennerts Vorwort für den Katalog "Papier. Korb. Zeit. - 300 Mal Papierkorbzeitung"

Von der Vollkommenheit des Fragments oder Vom Liebreiz der Anarchie
I Spätestens seit Schiller heißen die Kanaillen Franz. Zum gerafften Exempel: Mehring, Blei, Pfemfert, Hessel, Kafka, Werfel, Fühmann, Degenhardt, Kroetz und – neben vielen anderen Störenfrieden – der quietschlebendige Vielspartenzauberer Zauleck. Dass Lafontaine nicht auf Franz, sondern auf Oskar hört und Sahra Wagenknecht nicht auf Franziska, ist eine linke Camouflage. Das Wort Kanaille meint noch immer, wovon es sich herleitet: den Hund und all das, was seiner Art gleichermaßen unzutreffend wie böswillig unterstellt wird. Bei Arthur Schopenhauer, einem der Lieblingskommentatoren der nunmehr hingeschiedenen »Neuen Berliner Papierkorbzeitung« liest sich: »Woran sollte man sich von der endlosen Verstellung, Falschheit und Heimtücke der Menschen erholen, wenn die Hunde nicht wären, in deren ehrliches Gesicht man ohne Misstrauen schauen kann?« Eine übertrag- und nachvollziehbare Empfindung für jeden redlich bemühten Leser, der im Wust der vorgeblich unabhängigen, das Land und seine Regionen best(des)informierenden Zeitungen und Zeitschriften ein Exemplar der Zauleckschen NBPKZ vor Augen hat. Heureka!

II Dass Franz von Frank kommt und Frank von Frankreich, dass sich frank und frei seit dem 17. Jahrhundert in Deutschland tautologisch umarmen, weiß in Pisa jedes Schulkind. Die esoterisch gestützte Vermutung, dass der Name das Wesen seines Trägers beeinflusst und bestimmt, bleibt – nicht allein im Blick auf Angela – höchst fraglich. Bei Zauleck scheint sie dennoch zu greifen. Woher – fragt sich – rühren sonst seine anarchische Freigeisterei, sein unbekümmerter Freimut, sein auch formal erfrischend ungebundenes Lassen und Tun? War er nicht, ist er nicht Kind und Zögling eines aller Freiheitlichkeit entbehrenden Unrechtsregimes? Aber ja doch, liebe Befreier und Mütter vom Kollwitz- und Regierungsplatz. Das eben ist ja das Besondere und das Dialektische an der Freiheit und an der Hoffnung: Sie wurzeln und sprießen am kräftigsten dort, wo sie alltäglich vonnöten sind. Die Freiheiten unterhalb der staatlich eingeschränkten Freiheitsrechte sind – vorausgesetzt mensch nimmt sie sich und nützt sie – zahlreicher als sich im paragrafierten Gestrüpp einer gebetsmühlenartig beschworenen und weithin zur Abbreviatur verkommenen FDGO träumen lässt. Und wen – wie Stéphane Hessel – die Hoffnungslosigkeit der sich lärmend zer- und verstreuenden Gesellschaften bekümmert, greift wie er zum Imperativ: »Empört euch!« An der Tür zu Franz Fühmanns Klause in Märkisch-Buchholz las sich bis zuletzt, das heißt fünf Jahre vor dem Fall der Mauer: »Bleibe im Lande und wehre dich täglich!«

III Franz, Franz und nochmals Franz. Ganz ohne Ende. Franz Pfemfert – Berliner Einzelkämpfer wie Zauleck – gab unter in fetter Fraktur gesetzten Lettern »Die Aktion« heraus. Diese von 1911 bis 1918 erschienene »Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst« besticht bis heute in ihren Beiträgen durch eine ebenso um- wie scharfsichtige Analyse des allgemeinen Zeit- und Kunstgeschehens. Zu den namhaftesten Beiträgern zählten Walter Benjamin, Hugo Ball, Johannes R. Becher, Gottfried Benn, Henri Bergson, Max Brod, Iwan Goll, Heinrich Mann, Mynona, Max Herrmann-Neiße, Alfred Kerr, Wilhelm Klemm, Ludwig Rubiner, René Schickele, Ernst Toller, Alfred Wolfenstein, Franz Werfel, Carl Zuckmayer und viele andere. Solche Erinnerung wehrt der Gedächtnislosigkeit in Sachen eines uns noch immer tragenden Geflechts politischer und kultureller Fäden. Auf Pfemferts »Aktion« stößt unvermeidlich, wer sich dem Kleingedruckten im Titelkopf von Zaulecks Einblatt-Erzeugnissen aufmerksam nähert. Da meint Papierschnipsel auch das Heraus- und Zugeschnittene zeitlich nahe oder entfernt liegender, abgefallener und abgetaner und letztlich wieder aufgeklaubter bunter Schnipsel der Zeitgeschichte. Eine von Pfemferts ständigen Kolumnen in seiner »Aktion« lautete: »Ich schneide die Zeit aus«.

IV In einem allerersten Versuch vom Oktober vergangenen Jahres, dem redaktionellen, gestalterischen und journalistischen Vermögen des 2010 unter die Zeitungsverleger gegangenen Franz Zauleck gebührende Reverenz zu erweisen, formulierte ich unter anderem: Wäre ich Friede Springer, hätte Zauleck längst ausgesorgt. Die Schlag- und Titelzeilen seiner seit zwei Jahren sporadisch erscheinenden NBPKZ bieten in geistesgegenwärtiger und sprachlich souveräner Weise den landesweit verbreiteten Tageslosungen und Aufmachern von BILD Paroli. Jenem – wie auch Friedes hochgestellte Freundin meint – marktverträglich frei erwählten deutschen Zentralorgan der Vierten Gewalt. Zaulecks ungeniert via Internet florierende Blätter sind aller Beachtung wert. Denn nur ein derart mit allen medialen Wassern gewaschener Feind vermag es vielleicht noch, die Einsamkeit der massenhaft umheuchelten Cäsarin zu sprengen. Wäre ich sie, drückte ich ihn – Döpfner ist schon reichlich entgolten! – derart ans Herz, dass ihm die Rippen brächen und ihm die Hosentaschen vom Hartgeld überquöllen...
Franz, dem ich diese Zeilen in kindhafter Ungeduld sogleich übermittelte, reagierte reichlich bedripst. Fürchtete er doch, mir könnte entgangen sein, aus wie viel anderen, tiefer sprudelnden Quellen kommt, was sein Hand- und Kopfwerk durchströmt. Er verwies mich sanft auf El Lissitzky und Kurt Schwitters, auf deren MERZ-Magazin und auf die MERZ-Gedichte, auf die deutschen und die Schweizer Dadaisten. Das leuchtete mir ein. Und einmal mehr dämmerte mir, an wessen Marionetten mich seine Figurinen und fürs Theater gefertigten Puppen erinnerten: – an Sophie Taeuber-Arp. Die Assoziationen, die sich bei Betrachtung und Lektüre der in diverse Sparten untergliederten Papierkorbzeitungen einstellen, sind mannigfaltig, sie beschwören die Liste jener Namen, die im Dritten Reich als »entartet« abgeschrieben wurden, sie rufen Erinnerungen wach, an die inkriminierten Blätter und Collagen eines George Grosz und John Heartfield etwa, die sich – nicht zuletzt der staatsnotorischen Anfeindung wegen – dem Gedächtnis der Nachwelt wie unauslöschlich eingebrannt haben. Die Art, der Zauleck frönt, ist geistesgegenwärtig und anarchisch, widersetzlich in allem Gesetzten. Der Brutalität des Gefälligen begegnet sie mit Esprit und dem Liebreiz des entwaffnenden und demaskierenden Einfalls.

V Ein Mann, zweieinhalb Jahre und dreihundert wohlfeile Ausgaben für knapp fünfhundert elektronisch vernetzte Abonnenten. Lohnt sich das, hat sich das gelohnt? Voltaire wusste vom Esprit, er sei »das Gegenteil vom Geld: je weniger einer davon hat, desto zufriedener ist er.« Der Berg ausgebliebener Leserpost ist bedenklich hoch und lässt auf eine Zufriedenheit schließen, die Zauleck gänzlich abgeht.
Dem Mann ist stets und ständig unbehaglich. Vermutlich hat er zu viel Esprit, zu viel von jener geistigen Essenz, die dazu befähigt, rasch Zusammenhänge zwischen scheinbar weit entfernt liegenden Dingen und Sachverhalten herzustellen. Zusammenhänge, die verblüffen und das allgemeine Dunkel erhellen. Er war nicht der einzige, den es beim letzten Satz schauderte, den der amtierende Bundespräsident im Dankeswort nach seiner Wahl vor dem um Wahlfrauen und -männer vergrößerten Bundestag ausstieß: »Was für ein schöner Sonntag«! Mensch musste ziemlich unbelesen und historisch unbeleckt sein, um sich nicht zeitgleich an den ehemaligen KZ-Häftling Jorge Semprún und an sein 1981 auch in Deutsch erschienenes Buch »Was für ein schöner Sonntag!« zu erinnern. Zauleck war nicht der einzige, wohl aber der erste, der sein Erschrecken ins Aufschreckende der 180. Ausgabe seiner kurzfristig in »Neueste Ross und Reiter Zeitung« umbenannten NBPKZ transformierte. Bei wiederholter Durchsicht meines Zauleck-Archivs sticht mir schärfer ins Auge, wie häufig und aus welch aktuell gegebenem Anlass heraus die Titelzeilen wechselten. Im Februar 2011 gab es die »Neue Ägyptische« und wenig später die »Neue Perestroika«. Fortschreitend über die »Neue Leipziger«, »Die Frühlings-Papierkorbzeitung« (»Abends rechts einschlafen!«), die »Neue Blaugelbe«, die »Neue Oster-Papierkorbzeitung«, die »Neue Royal«, die »Neue Kabuler« usw. usf. bis hin zur letzten, der am 28. Februar 2013 erschienenen »Neuen Römischen Spaßmacherzeitung«. Der Spaß, den sich Zauleck da jeweils erlaubte, wurzelt zumeist im Grimmigen des Bodensatzes der Grimmschen Märchen. Zaulecks Mehrfachbegabung als Autor und als Bildner bedingt augenscheinlich eine Umtriebigkeit, die den Lesern, den Hörern, den Zuschauern und Betrachtern Angst und Bange machen darf. Seine vorrangig aufs Bildnerische versessenen Verehrerinnen und Verehrer erinnerte er punktgenau mit Extra-Blättern an Karl May, Günter Grass, Max Frisch, Heinrich von Kleist, Hugo Ball, H. C. Artmann, Heiner Müller und Woody Allen. Und für die größere Allgemeinheit rückte er darüber hinaus noch einmal die Todesanzeige für Karl Peglau (1927–2009) ein, den Erfinder des Ampelmännchens. So und nicht anders lassen sich – wie ich im Blick auf Zauleck hartnäckig denke – jene Geschichten sammeln und erfassen, die den engen Rahmen unseres Bildes von der Geschichte sprengen und krachen lassen.

VI Mit Schiller soll enden, was in Erinnerung seiner »Räuber« begann. Von den vielen geflügelten Worten, die seinem „Lied von der Glocke“ entstammen, taugen mir am vorläufigen Ende meines Nachdenkens über Franz und sein öffentliches Treiben am besten die Verse: »Da werden Weiber zu Hyänen / Und treiben mit Entsetzen Scherz«. Gebe Gott, dass das geschlechtsübergreifend demnächst noch wahr wird. Mit Franz, der Kanaille, bin ich da völlig d‘accord.

Berlin-Kreuzberg am 12. März 2013

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